Die kurze Wahrheit: Nein, die Pflanze ist nicht pauschal „verboten“. In der Praxis drehen sich die meisten Fälle um zwei Themen: Lebensmittelrecht (Novel Food) und Arzneimittelrecht (Heilwerbung).
1) Beifuß ist nicht gleich Beifuß
„Beifuß“ ist ein Sammelbegriff. In Deutschland meinen viele damit verschiedene Artemisia-Arten. In diesem Beitrag geht es konkret um Artemisia annua (Einjähriger Beifuß).
Genau diese sprachliche Ungenauigkeit ist ein Grund, warum das Thema online so viel Verwirrung erzeugt: Aussagen zu „Beifuß“ werden pauschal gemacht – obwohl rechtlich und praktisch oft ein ganz konkretes Produkt-Setting gemeint ist.
2) Pflanze, Lebensmittel, Arzneimittel: Drei Welten
| Worum geht es? | Was ist erlaubt bzw. kritisch? | Warum? |
|---|---|---|
| Pflanze / Rohstoff allgemein | Besitz oder Anbau ist nicht automatisch das Problem | Rechtlich relevant wird es beim Inverkehrbringen und bei der Zweckbestimmung |
| Lebensmittel / Tee / Nahrungsergänzung | Ohne Zulassung häufig nicht verkehrsfähig | Novel-Food-Regeln: „nicht in nennenswertem Umfang vor dem 15.05.1997 verzehrt“ → Zulassungspflicht |
| Arzneimittel über die Werbung | Heilaussagen ohne Zulassung sind hochriskant | Sobald mit Behandlung/Heilung geworben wird, kann ein Produkt als Arzneimittel eingestuft werden |
3) Was bedeutet „verboten“ in der Praxis wirklich?
Ist etwas „verboten“, weil es nicht verkauft werden darf?
Das ist der typische Denkfehler. In vielen Fällen ist die saubere Formulierung: „nicht als Lebensmittel zugelassen“ oder „so nicht verkehrsfähig“. Das ist etwas anderes als ein generelles Verbot der Pflanze.
• „Nicht verkehrsfähig“ heißt: Du darfst es so (in dieser Produktkategorie) nicht als Lebensmittel/Nahrungsergänzung verkaufen.
• „Arzneimittelrechtlich relevant“ heißt: Deine Werbung macht es (faktisch) zu einem Arzneimittel – ohne Zulassung wird es dann teuer.
4) Warum taucht dann überall „verboten“ auf?
Weil Behörden den Verkauf einzelner Produkte untersagt haben, wenn diese als Lebensmittel vermarktet wurden, ohne dass eine Novel-Food-Zulassung vorlag. Das wird dann in Kurzform als „verboten“ erzählt, obwohl es sauberer heißt: „nicht als Lebensmittel zugelassen“.
Dazu kommt ein zweiter Verstärker: Plattformen wie Marktplätze oder Payment-Anbieter haben oft eigene, sehr grobe Regeln. Wenn dort intern etwas pauschal gesperrt wird, wirkt es nach außen wie „Gesetz“ – ist es aber nicht.
5) Beispiele, die zeigen, wie Behörden und Gerichte argumentieren
In der Praxis läuft es häufig so:
• Es wird ein Produkt als Nahrungsergänzung oder „Tee“ angeboten.
• Die Zweckbestimmung ist eindeutig „zum Verzehr“ – oft zusätzlich mit gesundheitsbezogener Sprache.
• Es liegt keine Novel-Food-Zulassung vor oder die Darstellung ist arzneimittelähnlich.
• Ergebnis: Untersagung/Beanstandung – und die Schlagzeile lautet später „verboten“.
6) Der Shopbetreiber-Check: Was musst Du sauber trennen?
Wenn Du Artemisia annua im Kontext von Hautpflege/Kosmetik einsetzt – was ist dann entscheidend?
Du bleibst in einem anderen Regime als Lebensmittel oder Arzneimittel. Entscheidend ist:
• Keine Verzehrbezüge, keine Dosierungsanleitungen zur Einnahme, keine „Tee“- oder „Kapsel“-Narrative.
• Keine Krankheitsversprechen und keine Formulierungen, die eine Therapie suggerieren.
• Klare Zweckbestimmung als Kosmetik/Hautpflege, saubere Produktkommunikation.
• Sachliche Hinweise zu Risiken (z. B. Allergien) ohne Heilversprechen.
7) Häufige Stolperfallen in Ratgebertexten
Ratgeber sind SEO-stark – aber auch der Ort, an dem viele Shops sich unbewusst in Richtung Arzneimittelrecht bewegen. Typische Problemzonen:
• Du erklärst „Anwendungsdauer“ oder „Dosierung“ für die Einnahme.
• Du nennst konkrete Krankheiten als Ziel („bei Psoriasis, Neurodermitis, …“) und koppelt das an „wirkt“.
• Du baust Erfolgsgeschichten ein, die wie Therapie wirken.
• Du verlinkst auf externe Quellen, die Heilwirkungen behaupten, und übernimmst die Logik.
Der sichere Weg: Du kannst aufklären, einordnen, Grenzen ziehen – aber nicht therapieren.
8) Kurzfazit
Ist Beifuß (Artemisia annua) in Deutschland verboten? Nein, nicht pauschal. Die relevanten Konflikte entstehen durch Novel Food (bei Verzehr/„Tee“/NEM) und durch Arzneimittelrecht (bei Heilwerbung).
Wenn Du im Kosmetik- und Hautpflege-Kontext sauber bleibst und Deine Kommunikation rechtssicher hältst, ist das Thema in der Regel klar handhabbar.
FAQ
Kann ich Artemisia annua in Deutschland anbauen?
Ja. Der Anbau und Besitz der Pflanze ist nicht pauschal verboten. Relevant wird es beim Verkauf und bei der Zweckbestimmung.
Darf ich Artemisia annua als Tee verkaufen?
Genau hier wird es kritisch, weil das in den Lebensmittelbereich fällt und damit Novel-Food-Fragen auslöst. „Tee“ ist praktisch immer eine Verzehr-Zweckbestimmung.
Woran erkenne ich, dass ich in Richtung Arzneimittelrecht rutsche?
Wenn Deine Sprache Therapie suggeriert: „gegen Krankheit“, „heilt“, „wirkt bei“, „antiviral gegen“, „entzündungshemmend bei …“ – oder wenn Du Dosierungsanleitungen zur Einnahme gibst.
Und was ist mit Kosmetik?
Kosmetik/Hautpflege ist ein anderes Regime. Entscheidend ist die klare Zweckbestimmung als Pflegeprodukt und eine Kommunikation ohne Heilversprechen.
Quellen
EU Kommission, Novel Food Grundlagen
https://food.ec.europa.eu/food-safety/novel-food_en
EUR-Lex, Verordnung (EU) 2015/2283 (Novel Food)
https://eur-lex.europa.eu/eli/reg/2015/2283/oj/eng
RASFF Notification (Beispiel: Artemisia annua als nicht autorisiertes Novel Food)
https://webgate.ec.europa.eu/rasff-window/screen/notification/557574


